Die folgenden Thesen greifen wesentliche Impulse aus der diesjährigen Tagung des Katholischen Forums auf und können als Bezugspunkt für die weiterführende Diskussion dienen.
Genug ist genug. Womit hören wir auf? Worauf hören wir?
1. Es reicht! Eine solch klare und unmissverständliche Reaktion auf die drängenden Fragen und Nöte unserer Zeit unterstreicht die Dringlichkeit eines tiefgreifenden Umdenkens. Um mit etwas aufhören zu können, das so nicht weitergehen kann, fragen wir uns, worauf wir hören müssen. Es gilt, das Hören im Getöse unserer Zeit neu zu lernen, zu verstehen, was uns am Hören auf die Fragen unserer Zeit hindert und das genaue Hinhören wieder zu lernen. Abraham hörte auf den Zuspruch Gottes, der ihn zum Fortgehen aus seinem Vaterland und von seiner Verwandtschaft aufforderte. Dieses Hören befähigte ihn, die Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten seines Lebens und seiner Zeit hinter sich zu lassen und ein neues Land zu gewinnen.
2. Der Samariter lässt sich vom Anblick des von Wegelagerern niedergeschlagenen Juden anrühren und das Hören auf dessen „stummen Schrei“ fährt ihm in die Eingeweide. Die Hinwendung zum Darniederliegenden und seine Fürsorge für ihn ist eine Frucht des Hinhörens und des Hinsehens. Die in unserer Gesellschaft mächtig gewordenen institutionalisierten Verfahren der Vorsorge lassen Haltungen der Fürsorge, des sich umeinander Kümmerns, des füreinander Daseins dahinschwinden. „Auf den Schrei der Erde und die Klage der Armen zu hören“, ermahnt uns Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato sii. Ein solches Hören befähigt uns zu einer fürsorglichen Haltung, der Grundlage einer menschlichen Gesellschaft
3. Über alle kulturellen Grenzen hinweg preisen die großen Weisheitslehrer/innen aus unterschiedlichen philosophischen Traditionen und religiösen Bewegungen die einfache Lebensführung, Genügsamkeit, Verzicht und persönliche Mäßigung. In unserer Gesellschaft scheinen diese Orientierungen im Zuge der Fortschrittseuphorie und des Wirtschaftswachstums in Vergessenheit geraten zu sein, und das nicht nur in der persönlichen Lebensführung, sondern auch in der Gesellschaft als Ganzes. Die ökonomische Durchdringung aller Lebensbereiche und ein blindes Vertrauen in die technische Lösbarkeit aller zu Tage getretenen Probleme ökologischer und sozialer Natur sind auch in unserem Land nicht zu übersehen und einem guten Leben abträglich.
4. Traditionelle kirchliche Strukturen der Leitung, Entscheidung und Autorität und der Organisation von Gemeinschaft sind brüchig geworden und haben an Glaubwürdigkeit verloren. Die Forderung nach Beteiligung ausgeschlossener Gruppen, die Verteilung von Macht und Entscheidungsgewalt stellen die tradierten Amtsstrukturen der Kirche grundlegend in Frage. Der von Papst Franziskus initiierte Weg der Synodalität stellt das Zuhören in den Mittelpunkt. Das Hinhören auf den und die Anderen, auch auf jene, die oft unbeachtet oder ausgeschlossen sind oder die unsere Denkweise in Frage stellen, öffnet im gemeinsamen Gehen – inspiriert vom Wort der Schrift – den Blick für das, was zu Ende geht ebenso wie für das, was neu im Entstehen ist.
5. Weltweite Migration ist eine der herausfordernden Signaturen unserer Zeit. Für die Kirche, die sich in ihrem Selbstverständnis als „wanderndes Volk Gottes“ ihres migratorischen Hintergrunds bewusst ist, kann sich die Reaktion auf dieses Phänomen nicht nur auf ein karitatives Handeln beschränken. Das Hören auf die Stimme der Fremden, der Geflüchteten, der Arbeit Suchenden bedeutet für die Kirche, Räume der Anerkennung und der Begegnung, Räume für ihre Erzählungen, ihre Geschichten und ihre Spiritualität anzubieten. Die Stimmen und die Gesichter der Menschen mit Migrationshintergrund fordern die Kirche und die Gesellschaft heraus und bieten gleichzeitig die Möglichkeit zu mitmenschlichem Handeln.
6. Das Genug liegt zwischen dem „Zuviel“ und dem „Zuwenig“. Viel hängt davon ab, ob wir als Gesellschaft bereit sind, ein „Genug“ anzuerkennen.
Gemeinschaftlich die Grenzen dafür festzulegen für das, was genug ist und deshalb ausreichend und gut für unsere Gesellschaft, wird zukünftig die politische Agenda bestimmen müssen, um der Forderung nach Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Dabei ist klar, dass jede politische Strategie der Selbstbegrenzung, jede Politik hin zu Maß und Genügsamkeit, die soziale Gerechtigkeit im Blick behalten muss. Verzicht, in Zukunft gesellschaftlich notwendig, darf deshalb nicht sozial undifferenziert gedacht werden, sondern muss vor allem „oben“ beginnen und sichtbar werden.
7. Die Fähigkeit des Hörens ist in unserer lauten Welt zutiefst bedroht. Das Hören, das auf-etwas-Hören, das Zuhören war in der Vergangenheit noch eine aktive und in der Leiblichkeit verankerte Tätigkeit. Es ist zusehends durch eine Überflutung von Reizen und Signalen, die täglich über technische Geräte und Lautsprecher auf unser Ohr treffen, bedroht. Das Hören bedarf des Schweigens und es wächst in der Stille. Die Kirche blickt auf eine lange Tradition in der Pflege von Orten und Zeiten der Stille und des Gebets zurück und kann diese Erfahrung als Geschenk für unsere Zeit bereithalten. Daraus erwachsen die Kraft und der Mut zum Anfangen. Anfangen womit? Mit dem Aufhören!