„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ (Ingeborg Bachmann)
Die Anstrengungen der vergangenen Jahre waren nicht umsonst. Ein wichtiges Ergebnis dieser Anstrengungen liegt nun mit der Veröffentlichung des von einer Anwaltskanzlei erarbeiteten Gutachtens zum sexuellen Missbrauch in der Kirche vor. Die große mediale Aufmerksamkeit und die vielen Stellungnahmen von verschiedenster Seite verweisen auf die grundlegende Bedeutung dieses Gutachtens für die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in unserer Diözese. Die Stellungnahme von Bischof Ivo Muser, Generalvikar Eugen Runggaldier und Gottfried Ugolini, dem Leiter des Projektes „Mut zum Hinsehen“, lassen hoffen und erwarten, dass mit dem Gutachten ein klarer Anfang zu einer umfassenden Aufarbeitung und systematischen Prävention gesetzt ist.
Eine ehrliche Ursachenanalyse des Machtmissbrauchs und der sexualisierten Gewalt in der Kirche ist für Aufarbeitung und Prävention unabdingbar. Im Gutachten geht ganz klar hervor, dass – neben persönlichkeitsbezogenen Faktoren der Täter – systemische Defizite, das heißt, begünstigende und zudeckende Faktoren zum Missbrauch in der Kirche beigetragen haben. So, zum Beispiel, dass vorhandene Machtstrukturen den Missbrauch von Macht und geistlicher Autorität ermöglicht und gedeckt haben.
Im Rahmen des Projektes „Mut zum Hinsehen“ stellt das Gutachten mit den Empfehlungen der Rechtsanwälte an die Diözese und die Stellungnahmen der Diözesanleitung ein deutliches Signal der Veränderung dar. Im Mittelpunkt steht der Einsatz für die Betroffenen, deren Einbindung und Beteiligung in den diözesanen Gremien. Ihre Expertise ist in allen Bereichen, die sich mit Missbrauch, Intervention und Prävention befassen, erforderlich und notwendig.
Als Katholisches Forum, dem Zusammenschluss von 15 Mitgliedsorganisationen, sehen wir auch unsere eigene Verantwortung im Umgang mit dem dunklen Phänomen Missbrauch. Wir werden die Diözese bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und der Präventionsarbeit aktiv und konkret unterstützen. Es geht vor allem darum, dass die einzelnen Mitgliedsorganisationen für ihre jeweils spezifische Situation klare Haltungen, Regeln und Maßnahmen für den Schutz von Kindern, Jugendlichen und/oder schutzbefohlenen Personen erarbeiten und umsetzen. Sensibilisierung, Bewusstseinsbildung, Aus- und Weiterbildung und auf die Organisationen abgestimmte Schutzkonzepte müssen zum Standard einer jeden Organisation werden und bilden so eine der Grundsäulen der Prävention.
Als Katholisches Forum sehen wir es mit unseren Mitgliedsorganisationen und deren Mitgliedern auch als unsere Verpflichtung an, Betroffenen zuzuhören. Wir wollen hinsehen, hinhören und sie ernst nehmen, wenn sie den Mut finden, darüber zu reden oder aber nur leise, aus Scham verstummende Signale senden. Diese Aufmerksamkeit, die nicht den Schutz der Institution im Zentrum hat, ist die Voraussetzung, erlittenes Unrecht zur Sprache zu bringen, damit ihnen Gerechtigkeit und Unterstützung bei der Heilung der Wunden zuteilwerden.
Eine umfassende Aufarbeitung der vergangenen Missbrauchsfälle und ein entschiedenes Handeln, das zukünftigem Missbrauch entgegenwirkt, erfordert Mut. „Die Wahrheit“, die dabei ans Licht drängt, „wird euch frei machen“. Das ist uns in der frohen Botschaft zugesagt. Das gilt für die Betroffenen, das gilt auch „für die vielen Gläubigen und engagierten Priester, die tagtäglich versuchen, dem Evangelium in den pluralen und oft zerklüfteten Lebenswelten ein ansprechendes Gesicht zu geben“ (so der Theologe Jan Heiner Tück), und es gilt auch für die Täter. Auch sie brauchen unsere Aufmerksamkeit und unsere Mitverantwortung, damit kein weiteres Leid und Unrecht geschieht. Der angestoßene Transformationsprozess in unserer Diözese weist in eine Zukunft, die Kirche als sicheren Ort mit vertrauenswürdigem Personal für Kinder, Jugendliche und vulnerable Personen erfahrbar macht.